Der britische Marineingenieur Francis Herbert Wenham (1824 –1908) unternahm in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts umfangreiche Studien und Versuche zum Thema Fliegen und schrieb darüber eine wissenschaftliche Abhandlung mit dem Titel „Aerial Locomotion“. Er unternahm Flugversuche mit Mehrdecker-Gleitern und gab der weiteren Entwicklung des mechanischen Fluges entscheidende Impulse.
Wenham`s Arbeit war ausschlaggebend für weitere unzählige Versuche und inspirierte viele Luftfahrtforscher. Sie stellte nach George Cayley den Beginn einer neuen, wissenschaftlichen Forschungsperiode in der weltweiten Luftfahrtentwicklung dar und war zugleich das Fortschrittlichste was bis dahin vorgelegt wurde.
In seiner Abhandlung beschrieb Wenham seine langjährigen Studien des Vogelfluges. Er stellte weiterhin wissenschaftliche Thesen über die Gestaltung der gewölbten Flügelflächen und über die Kraft des Luftstromes, der diese Flächen umströmte, auf und stellte diese zur Diskussion. Letztendlich gab er einen Überblick über seine Experimente mit Flugmodellen bis hin zum Bau eines Mann tragenden Gleitflugzeuges. Bereits 1858 entwarf Wenham einen so genannten „Multiwing-Glider“, der aber nicht flog.
1866 ließ er eine Weiterentwicklung des Multiwing-Gliders, welches man durchaus als Urentwurf für die späteren Doppel- oder Dreidecker-Flugzeuge bezeichnen kann, patentieren. Dieses britische Patent erhielt die Nummer 1571.
Der Beschreibung nach sollte der Steuermann den Gleiter tragend in Startposition bringen um nach einem kurzen Anlauf abzuheben. Nach dem Abheben sollte sich dieser in eine horizontale Lage schwingen und den Apparat mit Händen und Füßen über Drahtseile steuern.
Der Gleiter war so konzipiert, dass fünf schmale Tragflächen übereinander, mit gleichem Abstand voneinander, montiert wurden. Jedes Flächenband hatte eine Breite von 38 cm und eine Länge von 4,90 m. Das entsprach einer Gesamtflügelfläche von ungefähr 9,30 m². Die Flächen waren in einem Rahmen mit dünnen Bändern aus Stahl verbunden, wie bei einer geöffneten Jalousie und ähnlich wie später bei den Mehrflächen-Versuchsapparaten von Horatio Phillips. An den Enden der Flächen befanden sich kleine Schlagflügel, die gleichzeitig in gleicher Richtung betätigt einen gewissen Vortrieb bewerkstelligen bzw. bei einseitigem Betrieb die Funktion eines Querruders übernehmen sollten.
Bei einem abendlichen Flugversuch im November des Jahres 1866 soll Wenham nach eigenen Berichten mit seinem Fünfdecker einige Meter hoch geflogen sein. Durch eine Windböe schnell und unverhofft in die Höhe gehoben, konnte Wenham das Gerät aber nicht im Gleichgewicht halten. Es fehlten im leider die nötigen technischen Elemente zur Erhaltung der Flugstabilität. Bei der darauf folgenden harten Landung wurde die gesamte rechte Flügelsektion stark beschädigt. Weitere Versuche unternahm Wenham nicht.
Warum Mehrdecker-Flugzeuge?
Wie kam Wenham eigentlich auf den Gedanken Mehrdecker-Gleiter zu entwerfen bzw. zu bauen. Diese Frage ist relativ leicht zu beantworten. Wie nicht jeder weiß, unternahm Wenham mehrere Seereisen. Unter anderem nahm er auch an einer der Reisen des Fotografen Francis Frith teil, die zwischen 1856 und 1860 nach Ägypten führten.
Frith war angesehener Fotograf und in der oberen Gesellschaft als Meister seines Faches anerkannt. Auf seiner ersten Exkursion nahm er eine kleine Hochdruck-Dampfmaschine mit um sie für die spätere Fahrt den Nil hinauf zu verwenden. Kaum bekannt ist aber, dass Francis Wenham der Konstrukteur dieser Dampfmaschine und ebenfalls begeisterter Fotograf war.
Auf dieser Reise beobachtete Wenham auch den Gruppenflug der Albatrosse und stellte fest, dass selbst wenn sie ganz eng übereinander flogen, so als ob sie sich gegenseitig schützen wollten, ihr Flugverhalten bzw. ihr Segelflug nicht gegenseitig beeinträchtigt wurde . Und so dachte er, dass dies auch bei künstlichen Flügeln möglich sein sollte.
Der erste Windkanal von Wenham
Fünf Jahre nach seinem Vortrag wird dem damaligen Mitglied des Rates der Aeronautical Society of Great Britain der Bau und die Nutzung des ersten Windkanals im Jahre 1871 zugeschrieben.
Wenham`s erste Versuche mit einem so genannten „Whirling arm“ (wirbelnder Arm) brachten keine befriedigenden Ergebnisse. Eine solche Versuchskonstruktion hatten bereits George Cayley und später die Gebrüder Lilienthal benutzt.
Wenham erkannte, dass er bessere Ergebnisse erlangen könnte, wenn das Versuchobjekt fest in einem geschlossenen Behältnis von Dampf umströmt würde und somit die Umströmung an den Flächen sichtbar machen könnte.
Er bat den Rat der Aeronautical Society of Great Britain Geld zur Verfügung zu stellen, um einen Windkanal bauen zu können.
Nach Wenham’s Worten war diese Röhre ca. 3,70 Meter lang und hatte einen Durchmesser von 45 Zentimetern. In diese Röhre wollte er horizontal und vertikal mehrere Flächen testen.
Ein Gebläse vor dem Gehäuse, welches von einer Dampfmaschine angetrieben wurde, transportierte die Luft über einen Schlauch zu den Testobjekten.
Diese Tests ermöglichten Wenham genauere Messungen der Auftriebskräfte und Widerstände an den umströmten Flächen. Die Ergebnisse dieser relativ einfachen Experimente wurden von großer Bedeutung für Luftfahrt. Wenham und seine Kollegen stellten erstaunt fest, dass bei einem Anstellwinkel der Flächen von nur 5 Grad der Auftrieb überraschend hoch war. Diese Untersuchungen ergaben auch, dass lange schmale Flügel, wie die der modernen Segelflugzeuge, viel mehr Auftrieb als kurze Flügel mit der gleichen Flächentiefe produzierten. Die Windkanal-Idee hatte sich mit diesen Erkenntnissen bereits bezahlt gemacht hat. Mit der Entwicklung des Windkanals, begannen die Aerodynamiker schließlich die Faktoren Auftrieb und Widerstand zu verstehen. Sie standen aber noch vor der Frage, ob man die Ergebnisse der Modellversuche auch auf große Tragflächen übertragen kann. Es ging, wie sich später herausstellte.
Fast alle Tests wurden und werden heute noch im Windkanal mit Modellen durchgeführt.
Grundlage des Schaffens aller Luftfahrt- Experimentatoren
Wenham trug seine Erkenntnisse der Royal Aeronautical Society of Great Britain auf der ersten Versammlung in London vor. Am 27.Juni 1866 faszinierte er die gesamte Mitgliedschaft der Society. Sein Vortrag vermittelte der erst kürzlich gegründeten Gesellschaft eine Initialzündung und wurde zur Grundlage des Schaffens aller Luftfahrt-Experimentatoren bis zu Beginn des 20.Jahrhunderts.
Seine Abhandlung wurde unmittelbar danach in der offiziellen Zeitschrift der Royal Aeronautical Society und um 1890 in Printmedien der ganzen fortschrittlichen Welt bekannt gemacht und verbreitet, so auch in dem bekannten Werk von Octave Chanute „ Progress in Flying Machines“.
Auch John Stringfellow wurde durch den Vortrag von Wenham zur Fortführung seiner Experimente angeregt und war mit seinem motorisierten Dreidecker-Modell sehr erfolgreich.
Quellen:
E. Charles Vivian, A History of Aeronautics, Kapitel V, Francis Wenham
Chanute, Octave, Progress in Flying Machines, New York, 1891
(Abschrift einer Artikel-Serie aus dem Railroad and Engineering Journal, New York City, USA, Ausgabe Oktober 1891)